1. Sterbelied
2. Die eine Klage
3. Nähe des Geliebten
4. Die Gunst des Augenblickes
5. Das Mandat
6. Verzweiflung
7. Das Gewitter
8. Bei der Nacht
9. Der gute Kamerad
10. Wehmut
Sterbelied
Sterbelied, Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1633 – 1714)
Es ist genug! Mein matter Sinn
Sehnt sich dahin, wo meine Väter schlafen.
Ich hab es endlich guten Fug,
Es ist genug! Ich muß mir Rast verschaffen.
Ich bin ermüdt, ich hab geführt
Die Tages Bürd: Es muß einst Abend werden.
Erlös mich, Herr, spann aus den Pflug,
Es ist genug! Nimm von mir die Bescherden.
Vita incerta – Mors certissima
Mors vincit omnia – Non omnis moriar
Inter spem et metum – Ave atque vale
Mors vincit omnia – Non omnis moriar
Ad vitam aeternam – Hinc illae lacrimae
Die große Last hat mich gedrückt,
Ja schier erstickt, so viele lange Jahre.
Ach laß mich finden, was ich such.
Es ist genug! Mit solcher Kreuzesware.
Nun gute Nacht, ihr meine Freund,
Ihr meine Feind, ihr Guten und ihr Bösen!
Euch folg die Treu, euch folg der Trug,
Es ist genug! Mein Gott will mich auflösen.
Vita incerta – Mors certissima
Tempus edax rerum – Sic itur ad astra
Veritas lux mea – Si vales valeo
Tempus edax rerum – Sic itur ad astra
Sancta simplicitas – Vive ut vivas
So nimm nun, Herr! hin meine Seel,
Die ich befehl in deine Händ und Pflege.
Schreib sie ein in dein Lebensbuch.
Es ist genug! Daß ich mich schlafen lege.
Nicht besser soll es mir ergehn,
Als wie geschehn den Vätern, die erworben
Durch ihren Tod des Lebens Ruh,
Es ist genug! Es sei also gestorben!
So nimm nun, Herr! hin meine Seel,
Die ich befehl in deine Händ und Pflege.
Schreib sie ein in dein Lebensbuch.
Es ist genug! Daß ich mich schlafen lege.
Nähe des Geliebten
Nähe des Geliebten, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Hain da geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne.
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O wärst du da!
Amor est vitae essentia
Meminerunt omnia amantes
Ich denke dein
Ich sehe dich
Ich höre dich
Ich bin bei dir
Amor est vitae essentia
Meminerunt omnia amantes
Das Gewitter
Das Gewitter, Heinrich Christian Boie (1744 – 1806)
»Chloe, siehst du nicht voll Grausen
Dort die Donnerwolken ziehn?
Hörst du nicht die Winde brausen?
Laß, Geliebte, laß uns fliehn.
Wo das breite Dach der Buchen
Eine Zuflucht uns verspricht,
Eile sie mit mir zu suchen!« –
Chloe schwieg und eilte nicht.
Eine Hirtin, die die Liebe,
Sich und ihren Schäfer kennt,
Gerne treu der Tugend bliebe
Und doch heimlich für ihn brennt,
Siehet überall Gefahren,
Trauet nie des Schäfers Wort.
Wenn hier Blitze schrecklich waren,
War es ihr Alexis dort.
Aber schwarz und schwärzer immer
Zieht das Wetter sich herauf.
Alles ist ein falber Schimmer,
Lange Donner folgen drauf.
Zweifelnd noch in dem Entschluße
Geht sie, bleibt sie wieder stehn:
Furcht heißt sie mit einem Fuße,
Liebe mit dem andern gehn.
Jetzo schon auf halbem Wege
Hält sie plötzlich wieder ein.
Regen, Sturm und Donnerschläge
Treiben sie zuletzt hinein.
Lachend sieht sie Amor eilen
Und sein Blick begleitet sie.
Man entgeht des Blitzes Pfeilen,
Aber Amors Pfeilen nie.
Endlich bei des Mondes Scheine
Kehrte mit verstörtem Blick,
Chloe langsam aus dem Haine
An Alexis Arm zurück.
Nachtigallen sangen Lieder,
Duftend lag die Flur umher,
Ruhig war der Himmel wieder,
Nur ihr Herz war es nicht mehr.
Lachend sieht sie Amor eilen
Und sein Blick begleitet sie.
Man entgeht des Blitzes Pfeilen,
Aber Amors Pfeilen nie.
Das Mandat
Künstlerlied, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Das Mandat, Schwarzblut – Von lateinisch ex manu datum „aus der Hand gegeben“
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Wir spielen
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Sie hören
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Ja dast ist
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik
Zu erfinden, zu beschließen,
Bleibe, Künstler, oft allein,
Deines Wirkens zu genießen,
Eile freudig zum Verein!
Dort im Ganzen schau, erfahre
Deinen eignen Lebenslauf,
Und die Thaten mancher Jahre
Gehn dir in dem Nachbar auf.
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Wir spielen
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Sie hören
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik – Ja dast ist
Deutsche Lyrik und dunkler Tanzmusik
Der Gedanke, das Entwerfen,
Die Gestalten, ihr Bezug,
Eines wird das Andre schärfen,
Und am Ende sei’s genug!
Wohl erfunden, klug ersonnen,
Schön gebildet, zart vollbracht,
So von jeher hat gewonnen
Künstler kunstreich seine Macht.
Wie beherzt in Reim und Prose
Redner, Dichter sich ergehn,
Soll des Lebens heitre Rose
Frisch auf Malertafel stehn,
Mit Geschwistern reich umgeben,
Mit des Herbstes Frucht umlegt,
Daß sie von geheimem Leben
Offenbaren Sinn erregt.
Tausendfach und schön entfließe
Form aus Formen deiner Hand,
Und im Menschenbild genieße,
Daß ein Gott sich hergewandt.
Welch ein Werkzeug ihr gebrauchet,
Stellet euch als Brüder dar;
Und gesangweis flammt und rauchet
Opfersäule vom Altar.
Verzweiflung
Verzweiflung, Johann Ludwig Tieck (1773 – 1853)
So tönet dann, schäumende Wellen,
Und windet euch rund um mich her!
Mag Unglück doch laut um mich bellen,
Erbost seyn das grausame Meer!
Ich lache den stürmenden Wettern,
Verachte den Zorngrimm der Fluth;
O mögen mich Felsen zerschmettern!
Denn nimmer wird es gut.
Nicht klag ich, und mag ich nun scheitern,
In wäßrigen Tiefen vergehn!
Mein Blick wird sich nie mehr erheitern,
Den Stern meiner Liebe zu sehn.
So wälzt euch bergab mit Gewittern,
Und raset, ihr Stürme, mich an,
Daß Felsen an Felsen zersplittern!
Ich bin ein verlorener Mann.
Die Gunst des Augenblicks
Die Gunst des Augenblicks, Johann Christoph Friedrich von Schiller (1759 – 1805)
Und so finden wir uns wieder
In dem heitern bunten Reihn,
Und es soll der Kranz der Lieder
Frisch und grün geflochten sein.
Aber wem der Götter bringen
Wir des Liedes ersten Zoll?
Ihn vor allen laßt uns singen,
Der die Freude schaffen soll.
Denn was frommt es, daß mit Leben
Ceres den Altar geschmückt?
Daß den Purpursaft der Reben
Bacchus in die Schale drückt?
Zückt vom Himmel nicht der Funken,
Der den Herd in Flammen setzt,
Ist der Geist nicht feuertrunken,
Und das Herz bleibt unergötzt.
Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götter Schooß, das Glück,
Und der mächtigste von allen
Herrschern ist der Augenblick.
Von dem allerersten Werden
Der unendlichen Natur
Alles Göttliche auf Erden
Ist ein Lichtgedanke nur.
Langsam in dem Lauf der Horen
Füget sich der Stein zum Stein,
Schnell, wie es der Geist geboren,
Will das Werk empfunden sein.
Wie im hellen Sonnenblicke
Sich ein Farbenteppich webt,
Wie auf ihrer bunten Brücke
Iris durch den Himmel schwebt,
So ist jede schöne Gabe
Flüchtig wie des Blitzes Schein;
Schnell in ihrem düstern Grabe
Schließt die Nacht sie wieder ein.
Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götter Schooß, das Glück,
Und der mächtigste von allen
Herrschern ist der Augenblick.
Von dem allerersten Werden
Der unendlichen Natur
Alles Göttliche auf Erden
Ist ein Lichtgedanke nur.
Bei der Nacht
Bei der Nacht, Robert Eduard Prutz (1816 – 1872)
Warum duften doch die Rosen
So viel schöner bei der Nacht?
Warum schmecken doch die Küsse
So viel süßer bei der Nacht?
Wenn durch braune Dämmerungen
Hell der Liebsten Auge lacht,
Und wie eines Schwanes Fittich
Leuchtet ihrer Glieder Pracht.
Ja, der Tag gehört den Menschen,
Aber Gottes ist die Nacht!
Klar und mild, wie Auge Gottes,
Tausend Sterne sind erwacht;
Ja, Gottes ist die Nacht!
Durch die Thäler, durch die Höhen
Weht’s wie Mailuft mild und sacht,
Und den Saum von seinem Kleide
Hörst du rauschen durch die Nacht.
Was die Seele dir belastet,
Was dein Auge weinen macht,
Leg’ es ab denn, müder Wandrer,
In den frommen Schoß der Nacht.
Knospen werden sich erschließen,
Früchte reifen über Nacht,
Und die Thränen sind getrocknet,
Ehe du noch aufgewacht.
Darum duften auch die Rosen
So viel schöner bei der Nacht,
Darum schmecken auch die Küsse
So viel süßer bei der Nacht:
Durch die Thäler, durch die Höhen
Weht’s wie Mailuft mild und sacht,
Und den Saum von seinem Kleide
Hörst du rauschen durch die Nacht.
Was die Seele dir belastet,
Was dein Auge weinen macht,
Leg’ es ab denn, müder Wandrer,
In den frommen Schoß der Nacht.
Wenn durch braune Dämmerungen
Hell der Liebsten Auge lacht,
Und du fühlst an ihren Küssen:
Gott und deine Liebe wacht.
Durch die Thäler, durch die Höhen
Weht’s wie Mailuft mild und sacht,
Und den Saum von seinem Kleide
Hörst du rauschen durch die Nacht.
Ja, der Tag gehört den Menschen,
Aber Gottes ist die Nacht!
Klar und mild, wie Auge Gottes,
Tausend Sterne sind erwacht;
Die eine Klage
Die eine Klage, Karoline Friederike Louise Maximiliane von Günderrode (1780 – 1806)
Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Bittrer Trennung Schmerz.
Wer geliebt was er verloren,
Lassen muß was er erkoren,
Das geliebte Herz;
Das geliebte Herz.
Der versteht in Lust die Tränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein;
Eins in Zwei zu sein.
Eins im andern sich zu finden,
Daß der Zweiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein;
Und des Daseins Pein.
Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt’ ein Wesen liebgewinnen
O! den tröstet’s nicht;
O! den tröstet’s nicht.
Daß für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind’s doch nicht;
Jene sind’s doch nicht.
Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick;
Wort und Sinn und Blick.
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Gibt kein Gott zurück;
Gibt kein Gott zurück.
Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Bittrer Trennung Schmerz.
Wer geliebt was er verloren,
Lassen muß was er erkoren,
Das geliebte Herz;
Das geliebte Herz.
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Gibt kein Gott zurück;
Gibt kein Gott zurück.
Der gute Kamerad
Der gute Kamerad, Johann Ludwig Uhland (1787 – 1862)
Ich hatt einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt’s mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär’s ein Stück von mir.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ewgen Leben
Mein guter Kamerad!
Wehmut
An Lina, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Wehmut, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Faust, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Liebchen, kommen diese Lieder
Jemals wieder dir zur Hand,
Sitze beim Claviere nieder,
Wo der Freund sonst bei dir stand.
Laß die Saiten rasch erklingen
Und dann sieh ins Buch hinein;
Nur nicht lesen! immer singen,
Und ein jedes Blatt ist dein!
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Ach, wie traurig sieht in Lettern,
Schwarz auf weiß, das Lied mich an,
Das aus deinem Mund vergöttern,
Das ein Herz zerreißen kann!
Liebchen, kommen diese Lieder
Jemals wieder dir zur Hand,
Sitze beim Claviere nieder,
Wo der Freund sonst bei dir stand.
Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Meiner armer Sinn
Ist mir zerstückt.
Meine Ruh ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
und nimmermehr.
Ihr verblühet, süße Rosen,
Meine Liebe trug euch nicht;
Blühet, ach! dem Hoffnungslosen,
Dem der Gram die Seele bricht.
Jener Tage denk’ ich trauernd,
Als ich, Engel, an dir hing,
Auf das erste Knöspchen lauernd,
Früh zu meinem Garten ging;
Alle Blüten, alle Früchte
Noch zu deinen Füßen trug,
Und vor deinem Angesichte
Hoffnung in dem Herzen schlug.
Ihr verblühet, süße Rosen,
Meine Liebe trug euch nicht;
Blühet, ach! dem Hoffnungslosen,
Dem der Gram die Seele bricht.