1. Schlußpoetik
2. Ein Schatten
3. Der schwere Abend
4. Nomen Est Omen
5. Heimfahrt
6. Die Fabrik
7. An den Todesengel
8. Der Schwarze Tod
9. Einst
Gesang der Geister über den Wassern:
10. I Des Menschen Seele (Adagio)
11. II Strömt von der Hohen (Scherzo)
12. III Schicksal Des Menschen (Rondo)
Schlußpoetik
Schlußpoetik, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Sage, Muse, sag dem Dichter,
Wie er denn es machen soll!
Denn der wunderlichsten Richter
Ist die liebe Welt so voll.
Immer hab ich doch den rechten,
Klaren Weg im Lied gezeigt,
Immer war es doch den schlechten,
Düstren Pfaden abgeneigt.
Aber was die Herren wollten,
Ward mir niemals ganz bekannt;
Wenn sie wüßten, was sie sollten,
Wär es auch wohl bald genannt.
Willst du dir ein Maß bereiten,
Schaue, was den Edlen mißt,
Was ihn auch entstellt zu Zeiten,
Wenn der Leichtsinn sich vergißt.
Sage, Muse, sag dem Dichter,
Wie er denn es machen soll!
Denn der wunderlichsten Richter
Ist die liebe Welt so voll.
Immer hab ich doch den rechten,
Klaren Weg im Lied gezeigt,
Immer war es doch den schlechten,
Düstren Pfaden abgeneigt.
Aber was die Herren wollten,
Ward mir niemals ganz bekannt;
Wenn sie wüßten, was sie sollten,
Wär es auch wohl bald genannt.
Willst du dir ein Maß bereiten,
Schaue, was den Edlen mißt,
Was ihn auch entstellt zu Zeiten,
Wenn der Leichtsinn sich vergißt.
Solch ein Inhalt deiner Sänge,
Der erbauet, der gefällt,
Und im wüstesten Gedränge
Dankt’s die stille, beßre Welt.
Frage nicht nach anderm Titel,
Reinem Willen bleibt sein Recht!
Und die Schurken laß dem Büttel
Und die Narren dem Geschlecht.
Sage, Muse, sag dem Dichter,
Wie er denn es machen soll!
Denn der wunderlichsten Richter
Ist die liebe Welt so voll.
Immer hab ich doch den rechten,
Klaren Weg im Lied gezeigt,
Immer war es doch den schlechten,
Düstren Pfaden abgeneigt.
Ein Schatten
Ein Schatten , Otto Roquette (1824 – 1896)
Nun ist es hingegeben,
Verweint mit Weh und Ach,
Das Glück, das für ein Leben
Zu dauern dir versprach.
Nun hast du überwunden,
Und doch, du fühlest bang
In einsam stillen Stunden
Des alten Kummers Hang.
Du siehst der Seel’ entsteigen
Ein theures Trauerbild,
Mit vorwurfsvollem Schweigen,
Mit Thränen ungestillt.
Du wirst ihm nicht entrinnen,
Ob längst auch abgeschafft
Die Schmerzensgluth der Sinnen,
Und Wahn und Leidenschaft.
Nun ist es hingegeben,
Verweint mit Weh und Ach,
Das Glück, das für ein Leben
Zu dauern dir versprach.
Nun hast du überwunden,
Und doch, du fühlest bang
In einsam stillen Stunden
Des alten Kummers Hang.
Wo du dein ganzes Wesen
Vergabst mit Allgewalt,
Kannst du’s zurück nicht lösen
In früherer Gestalt.
Es nimmt aus jener Wonne
Mit sich ein Schattenbild,
Das keine Lebenssonne
Mit warmem Licht durchquillt.
Der schwere Abend
Der schwere Abend, Nikolaus Lenau (1802 – 1850)
Die dunklen Wolken hingen
Herab so bang und schwer,
Wir beide traurig gingen
Im Garten hin und her.
So heiß und stumm, so trübe
Und sternlos war die Nacht,
So ganz wie unsre Liebe
Zu Tränen nur gemacht.
Und als ich mußte scheiden
Und gute Nacht dir bot,
Wünscht ich bekümmert beiden
Im Herzen uns…
Im Herzen uns…
…den Tod.
Nomen est omen
Wilhelm Meisters Wanderjahre, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Nomen est omen – Schwarzblut, lateinische Redensart und bedeutet „der Name ist ein Zeichen“.
„Das überhand nehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam, aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.“
A fronte praecipitium a tergo lupi
O praeclarum custodem ovium lupum!
A fronte praecipitium a tergo lupi
O praeclarum custodem ovium lupum!
Nomen est omen
Fide, non armis
Nomen est omen
Fide, non armis
Bis vincit, qui se vincit in victoria
Aut viam inveniam aut faciam
Bis vincit, qui se vincit in victoria
Aut viam inveniam aut faciam
Nomen est omen Non omnia morar
Fide, non armis Non omnia morar
Arte perire sua Non omnia morar
Auri sacra fames Non omnia morar
A fronte praecipitium a tergo lupi
O praeclarum custodem ovium lupum!
Bis vincit, qui se vincit in victoria
Aut viam inveniam aut faciam
Nomen est omen
A fronte praecipitium a tergo lupi
O praeclarum custodem ovium lupum!
A fronte praecipitium a tergo lupi
O praeclarum custodem ovium lupum!
Bis vincit, qui se vincit in victoria
Aut viam inveniam aut faciam
Nomen est omen Mihi cura futuri
Fide, non armis Mihi cura futuri
Arte perire sua Mihi cura futuri
Auri sacra fames Mihi cura futuri
Heimfahrt
Heimfahrt, Adolf Frey (1855 – 1920)
Schwertschlag und Trommel sind verklungen,
Die Schlacht vertost, der Feind bezwungen.
Mit müdem Leib und lassem Schritte,
Die todten Brüder in der Mitte,
Zieht eine Schaar zum grünen Strande
Vom Schlachtfeld durch die stille Lande.
An Helm und Panzer scharf zerschroten,
Mit Fahnen, Waffen und den Todten
Betreten schweigend sie das Boot,
Umstrahlt vom glühen Abendroth.
Der eine hemmt der Wunde Bluten,
Der and’re stiert dumpf in die Fluten.
Der prüft des langen Degens Schneide,
Die er zerhau’n am Eisenkleide;
Mit müdem Leib und lassem Schritte,
Die todten Brüder in der Mitte.
Der presst an’s Haupt die blut’gen Hände
Und denkt an seines Freundes Ende,
Und der späht fernhin mit Verlangen,
Wo seine Lieben um ihn bangen,
Indessen kalt und glasig hart
Der Todten Aug’ in’s Dunkel starrt.
Schwertschlag und Trommel sind verklungen,
Die Schlacht vertost, der Feind bezwungen.
Mit Fahnen, Waffen und den Todten.
Der eine hemmt der Wunde Bluten,
Der and’re stiert dumpf in die Fluten.
Der prüft des langen Degens Schneide,
Die er zerhau’n am Eisenkleide;
An Helm und Panzer scharf zerschroten,
Mit Fahnen, Waffen und den Todten
Betreten schweigend sie das Boot,
Umstrahlt vom glühen Abendroth.
Die Fabrik
Die Fabrik, Gerrit Engelke (1890 – 1918)
Düster, breit, kahl und eckig
Liegt im armen Vorort die Fabrik.
Zuckend schwillt, schrill und brutal
Aus den Toren Maschinen-Musik.
Schlot und Rohr und Schlot und Schlot,
Heißdurchkochtes Turmgestein,
Speien dickes Qualmgewölk
Ueber traurigstarre Häuser, Straßenkot.
Tausend Mann, Schicht um Schicht,
Saugt die laute Arbeits-Hölle auf.
Zwingt sie all in harte Pflicht
Stunde um Stunde.
Bis der Pfiff heiser gellt:
Aus offnem Tore strömen dann
Mädchen, Frauen, Mann und Mann –
Blasses Volk – müde – verquält –
Schläft der Ort –: glüh und grell
Schreit aus hundert Fenstern Licht!
Kraftgesumm, Rädersausen, Qualm durchbricht
Roh und dumpf die Nacht –
Tag und Nacht: Lärm und Dampf,
Immer Arbeit, immer Kampf:
Unerbittlich schröpft das Moloch-Haus
Stahl und Mensch um Menschen aus.
An den Todesengel
An den Todesengel, Ludwig Pfau (1821 – 1849)
Todesengel! lieber, trüber
Bote unsrer Mutter Welt,
Geh’ mir schonend noch vorüber,
Wenn dein Arm die Garben fällt;
Bis auch ich mein Blühn vollendet,
Meine Früchte dargebracht,
Bis ich recht zu Tag gewendet,
Was sich regt in dunkelm Schacht.
Sieh’, es wollen aus dem Herzen
Mir noch junge Lieder gehn,
Und wie helle Weihekerzen
Am Altar der Menschheit stehn;
Und es wollen noch Gedanken,
Pflanzen gleich in’s goldne Licht,
Sich aus meinem Haupte ranken —
Todesengel, pflück’ sie nicht!
Aber ist mein Lied verklungen,
Ist mein Menschenwerk vollbracht —
Eh’ die Saiten all gesprungen —
Komm’ im Sternenkleid der Nacht!
Todesengel! lieber, trüber
Bote unsrer Mutter Welt,
Geh’ mir schonend noch vorüber,
Wenn dein Arm die Garben fällt;
Bleicher Engel, dein Gefieder
Senke schnell auf Lust und Schmerz;
Leg’ zur heil’gen Ruh’ mich nieder,
Meiner Mutter Welt an’s Herz.
Todesengel! Bleicher Engel!
Bote unsrer Mutter Welt,
Geh’ mir schonend noch vorüber,
Wenn dein Arm die Garben fällt;
Todesengel! Bleicher Engel!
Senke schnell auf Lust und Schmerz;
Leg’ zur heil’gen Ruh’ mich nieder,
Meiner Mutter Welt an’s Herz.
Todesengel! Bleicher Engel!
Bote unsrer Mutter Welt.
Todesengel! Bleicher Engel!
Bote unsrer Mutter Welt.
Der schwarze Tod
Der schwarze Tod, Hermann von Lingg, ( 1820 – 1905)
Erzittre Welt, ich bin die Pest,
ich komm’ in alle Lande
und richte mir ein großes Fest,
mein Blick ist Fieber, feuerfest
und schwarz ist mein Gewande.
Ich komme vom Ägyptenland
in roten Nebelschleiern,
am Nilusstrand im gelben Sand
entsog ich Gift dem Wüstenbrand
und Gift aus Dracheneiern.
Talein und aus, bergauf und ab,
ich mäh’ zur öden Heide
die Welt mit meinem Wanderstab,
ich setz’ vor jedes Haus ein Grab
und eine Trauerweide.
Es hilft euch nichts, wie weit ihr floh’t,
ich bin ein schneller Schreiter,
ich bin der schnelle schwarze Tod,
ich überhol’ das schnellste Boot
und auch den schnellsten Reiter.
Dem Kaufmann trägt man mich ins Haus
zugleich mit seiner Ware;
er freut sich hoch, er lacht beim Schmaus,
ich steig’ aus seinem Schatz heraus
und streck’ ihn auf die Bahre.
Ich bin der große Völkertod,
ich bin das große Sterben,
Es geht vor mir die Wassernot,
ich bringe mit das teure Brot.
Mir ist auf hohem Felsvorsprung
kein Schloß zu hoch, ich komme;
mir ist kein junges Blut zu jung,
kein Leib ist mir gesund genung,
mir ist kein Herz zu fromme.
Wem ich nur schau’ ins Aug’ hinein,
der mag kein Licht mehr sehen;
wem ich gesegnet Brot und Wein,
den hungert nur nach Staub allein,
den durstet’s, heimzugehen.
Ich bin der große Völkertod,
ich bin das große Sterben,
Es geht vor mir die Wassernot,
den Krieg tu’ ich beerben.
Byzanz war eine schöne Stadt,
und blühend lag Venedig;
nun liegt das Volk wie welkes Blatt,
und wer das Laub zu sammlen hat,
wird auch der Mühe ledig.
Sie liegen in der Stadt umher;
ob Tag’ und Monde schwinden,
es zählt kein Mensch die Stunden mehr –
nach Jahren wird man öd’ und leer
die Stadt der Toten finden.
Einst
Einst, Eduard Ferrand (1813 -1842)
Wir standen vor einem Grabe,
Umweht von Fliederduft;
Still mit dem Gräsern des Hügels
Spielte die Abendluft.
Da sprach sie bang’ und leise:
Wenn von der Welt ich schied,
Und kaum mein Angedenken
Noch lebt in deinem Lied;
Wenn du auf weiter Erde
Verlassen und einsam bist,
Und nur im Traum der Nächte
Mein Geist dich leise küßt:
Dann komm zu meinem Grabe,
Von Flieder und Rosen umlaubt,
Und neig’ auf die kühlen Gräser
Das heiße, müde Haupt.
Ein Sträußchen duftiger Blumen
Bringst du wie sonst mir mit;
Mich weckt aus tiefem Schlummer
Dein lieber bekannter Schritt.
Dann will ich mit dir flüstern
So heimlich und vertraut,
Wie damals, wo wir innig
In’s Aug’ uns noch geschaut.
Und wer vorübergehet,
Der denkt: es ist der Wind,
Der durch die Blüten des Flieders
Hinsäuselt leis und lind.
Und wie du lebst, das Kleinste
Berichten sollst du mir,
Und ich will dir erzählen,
Was ich geträumt von dir.
Wenn dann der Abend gekommen
Und Stern an Stern erwacht,
Dann wünschen wir uns leise
Und heimlich: gute Nacht!
Du gehst getröstet nach Hause
Im Abenddämmerschein,
Und unter meinen Blumen
Schlaf’ still ich wieder ein.
Gesang der Geister über den Wassern
Gesang der Geister über den Wassern, Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
I. Des Menschen Seele (Adagio)
Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
II. Strömt von der hohen (Scherzo)
Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.
III. Schicksal des Menschen (Rondo)
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!